Die Steine, die Ewigkeit und wir



Was bedeutet eigentlich Ewigkeit? Was ist ewig? Ohne Ende? Ohne Anfang?


Ist das die Zeit, die nie angefangen hat und nie enden wird? Die ewige Zeit? Oder der ewige Raum. Unendliche Weiten. Raumzeit.


Der theoretische Physiker Stephen Hawking vermutete, das Universum passe in eine Nussschale. Oder ein Universum passe in eine Nussschale. Eines von vielleicht unendlich vielen ewigen Universen. Ich glaube, so meinte er das. Lange her, dass ich das Buch gelesen habe. Das Einzige, woran ich mich sehr konkret erinnere, ist, dass ich nicht alles verstanden habe. Ging mir bei Einstein aber auch so. Seitdem ich dessen Biographie gelesen habe, weiß ich überhaupt erst, dass es innerhalb der Physiker-Gilde noch einen Zweig für Theoretische Physiker gibt. Die denken nur vor, was andere dann ausprobieren.


Das muss man sich einmal vorstellen: Aus einem Klumpen glühenden Gesteins im (unendlichen) Weltall ist etwas unglaublich Vielfältiges geworden, ein Biotop, ein Lebensraum, in dem eine Art entstanden ist, die ihrerseits jetzt versucht, allen Geheimnissen der Welt auf den Grund zu gehen. Um sie wahrscheinlich wieder kaputt zu machen. Die Bemerkung kann ich mir leider nicht verkneifen, sorry. Was ich eigentlich sagen will: Wenn so etwas absolut Unvorhersehbares und irre Komplexes wie der menschliche Geist existiert, warum sollte ein Universum nicht in eine Nussschale passen? Und dass der menschliche Geist existiert, beweisen wir doch gerade, oder? Ich schreibe diese leicht durchgeknallten Zeilen, und du liest sie. Das bilden wir uns ja wohl hoffentlich nicht ein. Nein, wohl nicht. Das passiert in echt.


Okay, die Ewigkeit und das Universum kriegen wir nicht so richtig zu fassen. Aber es ist faszinierend. Mich fasziniert dieses Thema ungeheuer. Gerade, weil es nicht fassbar - oder besser erfassbar - ist. Ich bohre mal ein wenig weiter: Aus diesem Glutklumpen sind Steine entstanden. Es ist noch viel mehr entstanden, das Wasser, die Luft, die Meere, die Natur, das Leben, klar. Aber auch die Steine, und die haben ein langes totes Leben. Der kalte Planet hat Steine geboren, und die sind gewandert, haben sich verformt, gespalten, gerundet und so weiter und so fort. Ich habe mich nicht damit befasst, welche Gesteinsarten wann entstanden sind (Wäre vielleicht mal spannend), aber das tut meiner Faszination keinen Abbruch, sie alle sind nämlich verdammt alt. Auch wenn die Steine, die wir so finden, ob am Strand oder auf dem Acker, bei der Erkaltung unseres Lieblingsplaneten noch gar nicht in der heutigen Erscheinungsform dabei waren, sie sind allesamt verdammt alt. Und an dieser Stelle geht dann meine philosophische Phantasie mit mir durch. Denn der Stein, den ich auf dem Feldweg finde, der war erstens wahrscheinlich schon mal ganz woanders und zweitens sah er wahrscheinlich schon mal anders aus. Je nachdem, wie er jetzt aussieht. Wenn er rund ist, dann könnte er schon eine ganze Zeit lang so ähnlich ausgesehen haben. Rund geschliffen und mit jedem Jahrtausend in der Erde noch ein wenig runder. Irgendwann in der tiefsten Vergangenheit der Erde, vielleicht noch ohne Mensch und Tier und Gras und Schachtelhalmen, sah er jedenfalls ganz anders aus. Finde ich einen kantigen abgesplitterten Stein, nun, dann ist er von irgendetwas abgesplittert, von einem größeren Stein.


Die Steine, die wir finden, können durch Kontinentaldrift oder Gletscherzungen dahin gekommen sein, wo wir sie finden. Oder durch Bergbau und Transport. Bei dem Schotter an Bahngleisen wäre das der Fall. Das sind auch Steine, also auch verdammt alt, aber nicht auf geologischem Wege an die Bahn gekommen, sondern wahrscheinlich mit der Bahn von woher auch immer. Wieder sorry, ich kann nicht anders.


Den runden Stein, den ich in der Hand halte, hatte vielleicht schon mal jemand in der Hand, vor hundert oder vor tausend Jahren. Den Faustkeil im Museum, den hat auf jeden Fall schon früher ein Mensch oder ein Verwandter des Menschen in der Hand gehabt. Vor vielen tausend Jahren. Ein Wesen, das sich Gedanken gemacht hat, das gefühlt hat. Das in seinem (oder natürlich ihrem) Universum lebte, das die ganze bekannte Welt darstellte. Ein Wesen, das sich so komplexe Gedanken gemacht hat, dass es in der Lage war, im Voraus zu planen und ein Werkzeug für den Langzeitgebrauch herzustellen. Vielleicht hatte dieses Wesen Angst, vielleicht hat es getrauert, geliebt, sich gefreut und abends in den Sternenhimmel geschaut und sich gewundert. Vielleicht. Und damit sind wir bei uns. In unserem eigenen Universum, das für uns so unendlich wichtig ist. Ja, das ist es ja auch. Ich will uns nicht in die Bedeutungslosigkeit reden, ganz im Gegenteil. Wir sind bedeutsam. Sehr sogar. Aber nur eine begrenzte Zeit lang. Im ganz großen Universum, im unendlichen Raum in der unendlichen Zeit fallen wir nicht wirklich auf. Es flackert kurz auf, dann sind wir wieder weg. Und selbst dafür müsste man die Unendlichkeit in extremer Slow Motion abspielen. Aber in unserem Universum ist unser Leben lang genug, um bedeutsam zu sein. Außerdem flackert es in der SloMo ja nicht nur einmal. Es flackert wie verrückt, weil es ganz viele bedeutsame Leben gibt. In jedem Kopf, oder in jeder Seele, wenn du so willst, ein eigener Gedankenkosmos. Diese Gedanken, die du hier liest, sind nicht neu. Alles schon mal gedacht worden, da bin ich ziemlich sicher. Aber halt noch nicht von jedem. Also nehme ich mir heraus, diese Gedanken zu denken und meine Faszination für diese kaum fassbaren Dimensionen in Worte zu fassen. Hältst du eine Haselnuss in der Hand, mit Universum oder ohne, dann weißt du, dass diese Nuss in einigen Jahren nicht mehr da sein wird. Vor wenigen Jahren haben die Nuss und ihre Schale noch gar nicht existiert, und in wenigen weiteren Jahren werden sie rückstandslos zerfallen sein. Der Stein in deiner Hand lag vor einer Millionen Jahren vielleicht auf dem Grund eines Ozeans und vor fünftausend Jahren in der Hand eines Jägers. In eintausend Jahren mag er in einem Garten liegen, oder in einhunderttausend Jahren in einer Wüste. Der Stein bleibt. Was bleibt von uns?

Über den Autor



Mark O. Beck, Jahrgang 1963, aufgewachsen im Künstlerdorf Worpswede, ist im wirklichen Leben Spezialist für Materialwirtschaft und arbeitet für ein international tätiges Industrieunternehmen. Das klingt deutlich trockener, als es ist, sagt er. Beruflich und privat hat er viele Länder besucht und sich mit deren Geschichte und Kultur beschäftigt. Gleichzeitig ist er immer seinem Teufelsmoor treu geblieben, einer Naturschutz-Region in Niedersachsen, nah der Nordseeküste. Beck sieht sich selbst als bodenständigen Weltbürger. Die Neigungen des Autors zu Natur und Wasser, Rockmusik und Kinofilmen sind in seinem Erstlingswerk Die Steine Von Estepona kaum zu überlesen. Beck ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Er lebt mit seiner Frau nördlich von Bremen.


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Es ist nur ein Blick nach oben, aber wer tut das schon. Wir blicken ja noch nicht einmal auf den Weg, der vor uns liegt.


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